vanishing freedom: Louis Kahn und der Park der vier Freiheiten in New York

Luftaufnahme des Four Freedom Park. Quelle: Franklin D. Roosevelt Four Freedoms Park, © Iwan Baan.
Luftaufnahme des Four Freedom Park. Quelle: Franklin D. Roosevelt Four Freedoms Park, © Iwan Baan.

Eine steingewordene Vision?

2012 war es endlich soweit: Der auf den Entwurf des amerikanischen Architekten Louis Isadore Kahn zurückgehende Franklin D. Roosevelt Four Freedoms Park wurde für die Öffentlichkeit geöffnet. Die Entwürfe waren bereits in den Jahren 1973 und 1974 entstanden, wegen Kahns Tod und zahlreicher anderer missgünstiger Umstände jedoch bis heute nicht umgesetzt worden. Jetzt, vierzig Jahre später, prangt das steinerne Zeugnis aus tonnenschweren Granitblöcken an der Spitze von Roosevelt Island im Herzen von New York. Mit millimetergenauer Präzision bilden gewaltige Granitblöcke einen auratischen Raum, hinter dessen Wänden die Skyline der Mega-City zur Nebensache degradiert, stattdessen wird der Blick frei auf den Fluss, die Brücke, den Himmel. An diesem Ort des Gedenkens an jene wegweisende Rede über die Voraussetzungen einer dauerhaften demokratischen Ordnung sind die freiheitlichen Grundwerte – die Freiheit der Rede und der Meinungsäußerung, die Freiheit des religiösen Bekenntnisses, die Freiheit von Not und die Befreiung von Furcht – nunmehr hier wie damals verewigt. In einem spitz zulaufenden Park wird der Besucher durch baumgesäumte Alleen geführt und dem Trubel der Stadt entzogen. Seine Aufmerksamkeit richtet sich ganz von selbst auf das Monument jener Rede, mit der Präsident Roosevelt am Vorabend des amerikanischen Kriegseintritts im Jahre 1941 um die moralischen Voraussetzungen eines militärischen Eingreifens rang. Doch ähnlich verzerrt wie die Entstehungsgeschichte des Bauwerks, mag heute das Echo der hochfliegenden Worte klingen, wenn im Reigen von Abhörskandalen und massenweiser digitaler Durchleuchtung eben jene von Roosevelt so emphatisch beschworenen Werte der Freiheit ausgehöhlt werden.

Park und Baumallee. Quelle: Franklin D. Roosevelt Four Freedoms Park, © Paul Warchol
Park und Baumallee. Quelle: Franklin D. Roosevelt Four Freedoms Park, © Paul Warchol

Doch zurück zur Architektur, die mit ihrer perpetuierenden Bedeutung und Wirkung viel geduldiger, behütender, ja auch lehrsamer sein kann, als das von vielen Zerstreuungen und trügerischen Freiheitsgewinnen durchzogene Alltagsleben mit seinen aufgebauschten und schnell konsumierten Wertillusionen. Louis Kahn inszenierte den Park an der Südspitze der Insel als einen kontemplativen Weg hin zu dem einen Ziel, das sich in einem offenen Raum mit seiner Umwelt zu einem einzigartigen Erlebnis verschmilzt. Auf der einen Seite eine Monumentalität, die in der Harmonie der Proportionen und Einfachheit der Materialwahl, der Symmetrie der Anlage und dem rigiden Direktionismus ihrer Geometrie gegen die Wucht der Wolkenkratzer besteht und auf der anderen Seite die Architektur der Stille, der Besinnung, der Kahn bei so vielen Gelegenheiten Ausdruck verliehen hat. Der aus seinem Dornröschenschlaf erwachte Entwurf und das wie im Märchen nun glücklich zu Ende geführte Projekt sind uns heute eine Beispiel für die Größe der Einfachheit, die Würde des Gedenkens und die immer wieder sinnstiftende Relation von Natur und Architektur. Einer Architektur, die das eigene Selbst erweitert und einer Natur, die im Garten eines Parks schrittweise zu einer ganz und gar persönlichen Natur verdichtet wird.

Zeichnung von Louis Kahn. Quelle: Louis I. Kahn Collection, University of Pennsylvania and the Pennsylvania Historical and Museum Commission.
Zeichnung von Louis Kahn. Quelle: Louis I. Kahn Collection, University of Pennsylvania and the Pennsylvania Historical and Museum Commission.

Purismus und Größe: Kahns Entwurf und seine Umsetzung

Für den Entwurf des Denkmals, das elementare Ideen eines friedlichen Zusammenlebens verkörpern sollte, wählte Kahn die Kombination zweier räumlicher Archetypen, indem er Raum und Garten miteinander verband. Den besonderen, keilförmigen Zuschnitt der Inselspitze nutzte der Architekt für einen perspektivisch reizvoll zulaufenden, von Linden flankierten Park. Diesen mündet er in einen von massiven Blöcken archaisch gefassten Raum, der sich wiederum zum Fluss hin öffnet. In dem schlichten, aber tiefsinnigen Entwurf konzentriert Kahn noch einmal die Kerngedanken seines Schaffens. Mit strenger geometrischer Exaktheit zeichnet er den Zusammenfall und den Kontrast des Künstlichen mit dem Natürlichen und erzeugt dabei zugleich intime Räume und eindrückliche Beziehungen zur Umwelt. Fluss und Stadt bilden nicht nur den Hintergrund, sondern werden durch den Parcours des Denkmals und seines Parks Teil der Wahrnehmung. Bezeichnend ist dabei die räumliche Spannung, die vom Bezug des vergleichsweise kleinen, für den Menschen dimensionierten Raumes zum übermächtigen, wie eine Stadtraumscheibe emporragenden Hauptquartier der Vereinten Nationen entsteht, deren Charta sich wiederum auf Roosevelts Freiheitspostulat bezieht.

Kahn kreierte für die Besucher des Mahnmals unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten, die immer wieder neue Wege und Blickwinkel auf das architektonisch-urbane Zusammenspiel von Stadt und Park, Park und Monument ermöglichen. Michael Merrill, der lange und eingehend Kahns Werk studiert hat, spricht deshalb zutreffend von einer sich langsam entfaltenden Choreografie, einer Promenade, die entlang zurückge­haltener und freigegebener Ausblicke dem unwiderstehlichen Drang zur Spitze der Insel folgt. Und so zwingt eine von fünf großen Bäumen gebildete Scheidewand am Eingang des Parks die Besucher zu einem für monumentale Bauwerke meist unüblichen seitlichen Zutritt. Damit provoziert Kahn eine belebende Störung der ansonsten rigide symmetrischen Großform, die sich bis zum fokussierten Betreten des Gedenkraums durchzieht. Der stadträumliche Spannungsbogen wird auf den Maßstab des Parks heruntergebrochen und schon zum Auftakt für die Besucher erlebbar, indem diese zwischen der großen Geste einer breiten Freitreppe und den sich seitlich anschließenden beschaulichen Wegen durch baumgesäumte Alleen oder den entlang der abgeböschten Kanten des dreieckigen Parks am Wasser verlaufenden Rampen wählen können, um zum bislang nur erahnbaren ‚Balkon der Freiheiten‘ zu gelangen. Ein trapezförmig zulaufender Platz ist dem eigentlichen Denkmal vorgelagert. Durch die sich steigernde Folge von Perspektiven und Stimmungen gelangt der Besucher nicht unvorbereitet in das firme Blickfeld der von Jo Davidson geschaffenen Präsidentenbüste. Die Rückwand bildet zugleich einen Schirm auf dessen dem Südseite jene Passage der Präsidentenrede eingraviert ist, die den Sinn des Denkmals gestiftet hat. Noch einmal muss sich der Besucher entscheiden, ob er rechts oder links an dieser Mauer vorbei auf die Plattform treten möchte, bevor er sich ganz der Wirkung dieses Orts und seiner Geschichte hingeben kann. Einer labenden Wirkung, die Empfindungen freisetzt, für die dieser Raum ein Verstärker oder auch nur ein schlichter, zurückhaltender Hort ist, in dem die Intensität aber auch die Fragilität der von Roosevelt beschworenen Freiheiten noch einmal nachwirken können.

Auszug der Rede. Quelle: Franklin D. Roosevelt Four Freedoms Park, © Iwan Baan.
Auszug der Rede. Quelle: Franklin D. Roosevelt Four Freedoms Park, © Iwan Baan.

Dreißig an der Nord-, West- und Ostseite der Plattform postierte Granitblöcke, zwölf Fuß (3,70 m) hoch und je 36 Tonnen schwer, erzeugen einen nur 18 m2 großen, mit Granitplatten ausgelegten Gedenkraum. Dieser öffnet sich zur Südseite hin, um, als Bugspitze ausgebreitet, vor den in Stein gefrästen Worten des Präsidenten das großartige Panorama des East Rivers zu entfalten. In sich ruhend, dank der Kontinuität von Material und Struktur geradezu beschwörend harmonisch, bildet dieser Raum einen poetischen Kontrapost zur überbrodelnden Aktivität der Metropole. Die angenehme aber auch irgendwie unheimliche Vertrautheit, die von Kahns steinernem Raum ausgeht, ist das Ergebnis einer wunderbaren Synthese: Uraltes Material, schwer, massiv und doch zerbrechlich, mit großem Aufwand gewonnen, herangeschafft und bearbeitet; das zeitlose Flair altertümlicher Handwerkskunst bis hin zum Einsatz modernster Technik; Ursprüngliches ist mit Kunstvollem vereint, um scheinbar schwerelos in ein Gefühl der Stille überzugehen. Kahn gelingt es, durch die ihm eigene elementare Formensprache eine universale Architektur zu entwerfen, die inmitten New Yorks eine Atmosphäre der Unmittelbarkeit schafft, wie sie sonst nur von den Kultbauten der Frühzeit ausstrahlt. Die nach außen sägerau belassenen Granitblöcke sind auf der Innenseite poliert, um die Intimität des u-förmig umschlossenen Raumes gerade soweit zu konzentrieren, wie es das von Kahn intendierte Spiel von Freiheit und Bezogenheit zulässt. Geschickt sind die seitlichen Blöcke so gesetzt, dass am Jahrestag der Geburt des Präsidenten das Licht der Morgendämmerung und an seinem Todestag das Licht des Sonnenuntergangs exakt eingefluchtet durch die Spalten strahlt. Ein suggestives Spiel, das nicht nur an die kulturgeschichtlich allgegenwärtige Mystik der Sonne erinnert, sondern auch ein Lehrstück darüber ist, dass Architektur an der Scheidung und Durchdringung von Licht und Materie beginnt.

Erinnerung und Vermächtnis

Durch den unerwarteten Tod des Architekten im Jahre 1974 und die Berufung des prominenten Förderers Nelson Rockefeller zum amerikanischen Vizepräsidenten verlor das Projekt seine wichtigsten Triebkräfte. Hinzu kam, dass die Stadt Mitte der 1970er Jahre auf den Bankrott zusteuerte. Die von Kahn zurückgelassenen, sehr weit entwickelten Pläne wurden von Kahns Büroleiter David Wisdom und das Büro Mitchell-Giurgola fertiggestellt, wobei nun Letztere für die Realisation des Denkmals verantwortlich sind. Aufwind erfuhr das lange brach liegende Projekt schließlich mit dem seit Nathaniel Kahns Film ‚My Architect‘ wieder gestiegenen öffentlichen Interesse am Leben und Werk des Architekten. Eine Ausstellung über das Projekt an der Cooper Union brachte zusätzliche Beachtung und eine Gruppe von Architekten, Politikern und Spendenbeschaffern konnte das Projekt im Frühjahr 2010 wieder in Gang setzen.

Das Denkmal, das auch heute nichts von seiner Symbolik eingebüßt hat, steht mit ungebrochener Zuversicht für die von Roosevelt evozierte Vorstellung einer freiheitlichen Weltordnung. Im Panoptikum der New Yorker Freiheitsmale steht es derweil als sublimes Gefüge einer archaisch anmutenden Raumschöpfung für die stille Beharrlichkeit eines Traumes von Freiheit, wie ihn die amerikanische Nation zwar seit je her in sich trägt, aber auch stets aufs neue herausfordert. Unverdrossen trotzen Kahns mächtige Granitblöcke der Vergänglichkeit einer extremen, höchst symbolischen Stadt. Einer Stadt, die wie kaum eine andere als Inbegriff moderner Widersprüche gilt; einer Stadt in der die Möglichkeiten so knallhart auf die Unmöglichkeiten des Lebens stoßen, die aber auch immer wieder die Kraft für regenerierende Wege findet. So liest sich denn die jüngst mit überwältigender Mehrheit vollzogene Wahl Bill de Blasios zum Bürgermeister New Yorks als ein neuerliches Versprechen an die Zukunft. Ein Versprechen, das anknüpft an jene Ideen, denen Roosevelt und Kahn auf je eigene Art eine beständige Präsenz verliehen haben.